Das nützliche Tier. Arbeit, Gesundheit, Produktion

Das nützliche Tier. Arbeit, Gesundheit, Produktion

Organisatoren
Gisela Hürlimann / Uwe Fraunholz / Maximilian Gasch, Technische Universität Dresden
PLZ
01069
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Fand statt
Hybrid
Vom - Bis
09.11.2023 - 10.11.2023
Von
Philipp Räubig, Institut für Katholische Theologie, Technische Universität Dresden

Die intensive Auseinandersetzung mit Tieren, sei es mit denen in der Wildnis, im häuslichen Umfeld, im Zoo, im Stall oder im Labor, erlebt seit einigen Jahren eine Renaissance in der interdisziplinären kulturwissenschaftlichen Forschung. Auch in verschiedenen historischen Kontexten wie der Politik-, Technik-, Umwelt-, Medizin- und Mobilitätsgeschichte, rücken Tiere zunehmend in den Fokus. An der Professur für Technik- und Wirtschaftsgeschichte der TU Dresden wird speziell die Geschichte der sogenannten Nutztiere erforscht und gelehrt. Dieser Schwerpunkt und die fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Archiv für Agrargeschichte in Bern waren Anlass für diese Tagung zur Arbeit, Gesundheit und Produktion von Nutztieren. Der Fokus lag zunächst auf den Arbeits-, Mobilitäts- und Modernisierungsleistungen zwischen Menschen und Tieren (insbesondere Pferden, Eseln, Rindern und Hunden), wobei die historische Vielseitigkeit bestimmter Nutztiere hervorgehoben wurde. Themen wie Tierzucht, Tierhaltung, Tierfütterung und Tiergesundheit von Rindern, Schweinen, Hühnern und Fischen, wurden ebenso behandelt wie die Rolle von Eseln als Arbeitstiere im Modernisierungsprozess oder koloniale Kontexte und ökonomisch-technologische Bestrebungen zur umfassenden „Verwertung“ von Nutztieren.

Die erste Sektion der Tagung stand unter dem Titel: „Arbeitende Tiere“. HANS-ULRICH SCHIEDT (Bern) fokussierte auf die langen Linien einer begrifflichen Differenzierung von „Arbeits-“, „Nutz-“, und „Haustieren“ im Modernisierungsprozess von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Ausgangspunkt war die in der Literatur noch häufig anzutreffende Vermutung, dass die Arbeit der Tiere durch den Einsatz motorisierter Landmaschinen und Mobilitätsmöglichkeiten substituiert wurde und damit auch der Begriff des „Arbeitstieres“ durch den des „Haustieres“ und den des „Nutztieres“ abgelöst wurde. Dem widersprach Schiedt deutlich. Auch wenn die Arbeit der Tiere im damaligen Fortschrittsdiskurs als „vormodern“ dargestellt wurde, so hatten sie doch im Untersuchungszeitraum eine ungebrochene Alltagspräsenz neben den neuen Technologien, sei es in der Landwirtschaft oder im städtischen Verkehr. Ähnlich wie sich die Funktionen von Tieren in der Gesellschaft – gerade Kühe oder Ochsen hatten dabei oft multiple Funktionen – parallel zu technologischen Veränderungen entwickelten, so wandelten sich auch die Begriffe. Mit der These von der Ko-Evolution der verschiedenen Begriffe benannte Schiedt klar, was sich im Quellenmaterial als ein schleichender, heterogener Prozess der Differenzierung von Tieren, die eher konkrete Arbeitsleistungen verrichteten („Arbeitstiere“), Tieren, deren Milch- und Mastleistung genutzt wurde („Nutztiere“) und Tieren, deren Nutzen in ihrer Nähe zum Menschen bestand („Haustiere“), darstellt.

Bereits bei Schiedt wurden die bäuerliche Perspektive und das bäuerliche Wissen als relevantes Quellenmaterial hervorgehoben. Diese Draufsicht auf die Rolle von arbeitenden Tieren in Modernisierungsprozessen wurde durch eine Nahaufnahme der bäuerlichen Episteme von JURI AUDERSET (Bern) adäquat ergänzt. Auderset betonte in seinem Beitrag die vielfältigen Wissenspraktiken von Bäuerinnen und Bauern im Umgang mit Tieren. Dabei wurde deutlich, dass im bäuerlichen Kontext ein Teil der Expertise darin bestand zu wissen, was Tiere brauchten, um langfristig konstante Arbeitsleistung zu erbringen. Zu diesem Wissen gehören Beobachtungen zur Intelligenz und dem Gedächtnis des jeweiligen Tiers sowie seiner Sensitivität und seinen individuellen Charaktereigenschaften. Das Verstehen der Tiere, mit denen man arbeitete, gehörte zu einer der grundlegenden Kompetenzen des bäuerlichen Lebens und das mögliche Scheitern kooperativer Arbeit gehörte zum Erfahrungsraum in der Agrarwirtschaft. Tiere sind in dieser bäuerlichen Perspektive also weniger Objekte der Beobachtung als vielmehr ein interaktives Gegenüber.

Für den südosteuropäischen Kontext betonte RUŽA FOTIADIS (Berlin), dass der dortige Übergang in die Moderne ohne das Arbeits- und Nutztier Esel nicht zu denken sei, indem die Ko-Agency von Menschen und Eseln Handel und Mobilität überhaupt erst ermöglichte und zudem im Prozess der Modernisierung Modell stand, um valide infrastrukturelle Entscheidungen zu treffen. Die topografischen Bedingungen zerklüfteter Reliefs, schroffer Felsen und tiefer Schluchten erschwerten seit jeher den Transport in der Region. Besonders eindrücklich war die Schilderung, wie die Kompetenz der Esel genutzt wurde, Pfade durch diese Karstlandschaften zu finden, um die Bahn- und Straßenführung daraufhin zu orientieren. Die historische Bedeutung der Lasttiere für das Leben der Menschen in Südosteuropa sei entsprechend bis ins 20. Jahrhundert kaum zu überschätzen. Fotiadis betonte ihre Rolle im Prozess der Modernisierung, insbesondere in Bezug auf die Anbindung der Gebirgsregionen an internationale Handelsrouten am Meer, ebenso wie ihre militärische Bedeutung im Ersten Weltkrieg. Esel sind heute größtenteils als touristische Attraktionen wiederentdeckt, aber nicht mehr so tief mit den gesellschaftlichen Strukturen verwoben, wie früher. Gleichwohl zeugen Sprichwörter und Symbolisierungen von der einst engen Bindung.

Die zweite Sektion trug den Titel „Koloniale Rinderzucht“. SAMUËL COGHE (Gent) stellte ein anlaufendes EU-Projekt aus fünf vernetzten Teilprojekten vor. Rinder hatten sowohl für Kolonisatoren als auch für Kolonisierte eine große Bedeutung. Trotzdem ist die frühe postkoloniale Viehzuchtpolitik im interregionalen Vergleich und in ihren Kontinuitäten und Brüchen zur Kolonialzeit kaum untersucht worden. Das Projekt hebt auf die Bedeutung der kolonialen Viehwirtschaft für die globale Wirtschaftsgeschichte ab. Im Anschluss an Jason Moore begründete Coghe den Einsatz des „commodity frontiers“-Konzepts. Es ermöglicht globale Verflechtungen von Produktion, Warenbewegungen sowie Aneignungs- und Ausbeutungsbeziehungen zu betrachten. Dieser systemische Ansatz wird durch die empirische Arbeit an den lokalen politischen, sozioökonomischen und ökologischen Folgen ergänzt. Die Teilprojekte konzentrieren sich auf vier Aspekte der afrikanischen Viehwirtschaft (Cattlefrontiers) in regional und zeitlich spezifischen Kontexten: (1) die biologische Verbesserung der körperlichen Verfassung von Rindern, (2) die Veränderung der Handlungspraktiken von Hirten, (3) die sozio-ökologischen Veränderungen der Tierproduktion und (4) die kommerzielle Dimension der Erzeugung von Viehprodukten. In einem fünften Projekt werden alle vier Aspekte für eine regionale Studie im Zusammenspiel betrachtet.

Der Beitrag von DENNIS YAZICI (Kiel) fokussierte auf das züchterische Ideal eines kolonialen Rinds in Deutsch-Südwestafrika um 1900. Ziel war es, die Rinderzucht in Deutsch-Südwestafrika zu transformieren und einen neuen kolonialen Rinderschlag zu etablieren. Dieses Unterfangen zählt zu einem der vielen kolonialwirtschaftlichen Projekte. Die konkreten Maßnahmen erwiesen sich mindestens im untersuchten Zeitraum bis zum Ersten Weltkrieg nicht als systematisch wirksam. Die größeren Transformationsschübe für die Rinderzucht erfolgten erst infolge der Rinderpest-Epidemie und des Genozids an den Herero und Nama. Durch diese Ereignisse wurden die ursprünglichen Rinderbestände erheblich dezimiert. Obwohl verstärkt europäische Rinderschläge eingeführt wurden und versucht wurde, diese in die Rinderschläge der Herero und Nama einzukreuzen, konnte keine einheitliche Rinderzucht nach kolonialen Vorstellungen erreicht werden.

PETER MOSER (Bern) und ANDREAS WIGGER (Bern) schlossen den ersten Tagungstag mit einem Abendvortrag zum Thema „Audiovisuelle Quellen“ ab. In ihrem Beitrag zeigten sie eindrücklich, wie wertvoll bewegte und unbewegte Bilder als Quellen für eine Nutztiergeschichte sind. Dabei wurde besonders eindrücklich, dass diese Bilder selbst Quellen für die historische Forschung, aber zugleich besonders anschauliches Material für die Vermittlung historischen Wissens sind. In dem vorgestellten Videoessay „Arbeitende Tiere. Akteure der Modernisierung sichtbar machen“ werden Erkenntnisse über die Multifunktionalität und alltägliche Präsenz von Tieren in der Stadt und auf dem Land im Prozess der Modernisierung bis zum Zweiten Weltkrieg vermittelt. Bildmaterial kann Aspekte der Mensch-Tier-Beziehungen (hier im Kontext der Landwirtschaft) sichtbar machen, die in Schriftquellen der Zeit nicht reflektiert werden.

Die dritte Sektion „Stoff(wechsel)geschichten“ wurde mit einem Beitrag von CHAD DENTON (Seoul) über die Rolle der Veterinärmedizin im Kontext der Tierkadaververwertung in Kriegszeiten eingeleitet. Der Beitrag bewegte sich an der Schnittmenge von Technik-, Tier- und Recyclinggeschichte. Dabei befasste er sich mit der wirtschaftlichen Mobilisierung in Kriegszeiten. Tierärzte übernahmen die Rolle von Ingenieuren in der Tierkörperverwertung. Das Versprechen einer vollständigen Verwertung der Kadaver im Horizont der Rohstoffknappheit im ersten Weltkrieg förderten den Status und die Autorität ihres Berufsstandes während des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Sie trugen zur Verbesserung der Technologie der Tierkörperbeseitigung bei und spielten eine Schlüsselrolle bei der Entsorgung und Verwertung von Tierkörpern, die zuvor ungenutzte Rohstoffreserven darstellten.

Was in diesem ersten Beitrag im Kontext der Rohstoffmobilisierung in Kriegszeiten vorgestellt wurde, ergänzte GISELA HÜRLIMANN (Dresden) gemeinsam mit UWE FRAUNHOLZ (Dresden) und MAXIMILIAN GASCH (Dresden) durch die allgemeine Frage nach tierischen Rohstoffen in der Technikgeschichte. Dabei verknüpften sie Fragen von Abfall, Recycling und Rohstoffmobilisierung mit der Commodity-Forschung zur globalen Nebenproduktwirtschaft, sowie der Stoffgeschichte und Perspektiven der Human-Animal Studies bzw. der Animal Studies. Der Beitrag stellte die Frage, ob die Geschichte tierischer Stoffströme als ein Aspekt der Mensch-Tier-Beziehungen verstanden werden kann. Schlachthöfe waren in der europäischen Hochmoderne unternehmerische und logistische Knotenpunkte, in denen sich Produktion, Verarbeitung und Handel mit tierischen (Neben-)Produkten konzentrierten. Erst in den 1970er Jahren wurden sie in der BRD in die Peripherie verlagert und von der Tierkörperverwertung separiert. Die vertretene These sieht einen Zusammenhang zwischen hochmodernem Selbstverständnis, Technikgeschichte, dem Streben nach staatlicher Kontrolle und der Tierkörperverwertung.

BEAT BÄCHI (Zürich) betrachtete in seinem Beitrag weniger die Verwertung von Tieren, als vielmehr Schweine als Verwerter von Stoffen. Als Allesfresser haben sie eine große Varianz an möglichen Futtermitteln. Dennoch ist zu beobachten, dass die veränderten Lebensbedingungen der Schweine in der Intensiv- und Massentierhaltung nach dem Zweiten Weltkrieg auch deren Körper und Metabolismus verändert haben. Die Gesundheitstechniken dienten in erster Linie dazu, die Tiere in stark auf Effizienz getrimmten Systemen produktiv zu halten. Die Geschichte der Tierkörper ist so eingebettet in Mechanismen globaler Märkte. Preise sowie Wünsche und Ansprüche der Konsumentinnen und Konsumenten spiegeln sich in den Körpern und im Stoffwechsel der Schweine wider, auch gegen bäuerliche und veterinärmedizinische Proteste. Bächi vertritt dabei die These, dass seine Forschungsergebnisse über eine reine Nutztiergeschichte hinausweisen, da die Veränderung der Tierkörper durch gesellschaftlichen Wandel determiniert wird.

SARA MÜLLER (Zürich) wies in ihrem Beitrag darauf hin, dass ab Mitte des 20. Jahrhunderts mit der stärker arbeitsteiligen Struktur der Rinderhaltung, die sich nun in eigenständige Betriebszweige gliederte, auch neue Tierkategorien entstanden. Statt, wie in anderen Beiträgen für das 19. und frühe 20. Jahrhundert herausgearbeitet, multifunktionale Tiere heranwachsen zu lassen, wurde Jungvieh nun in Aufzucht- und Mastkälber kategorisiert. Hieraus ergaben sich differenzierte Fütterungsnormen und daraus wiederum, wie sich die Tiere entwickeln. So wurde der Einsatz von Antibiotika bei Aufzuchtkälbern abgelehnt, da sie hemmend auf die Entwicklung der Pansenflora wirken. Bei Mastkälbern hingegen trugen sie zur Fleischqualität bei, aber vor allem der Pansen, ein Teil des mehrteiligen Magens von Kühen, entwickelte dadurch nicht seine volle Funktionsfähigkeit – so wurden die Tiere erst spät oder gar nicht zu voll ausgebildeten Wiederkäuern. Der Beitrag zeigte eindrucksvoll, wie die Ausdifferenzierung der Viehzucht über die neue Kategorisierung der Tiere zu einer Transformation der Tierkörper führte.

Die vierte und letzte Sektion stand unter der Überschrift „Tierische Ernährung“. HENRIK JOCHUMS (Zürich) einführender Beitrag über die schweizerische Geflügelwirtschaft zwischen 1930 und 1962 lag den Tagungsteilnehmern krankheitsbedingt nur schriftlich vor. Das Paper ging insbesondere auf die Rolle von Futtermittelzusätzen und standardisierten Tieren bei der Industrialisierung dieses Wirtschaftszweiges ein. Es wurden die Gründe für die Entstehung der schweizerischen Geflügelindustrie diskutiert und aufgezeigt, wie die Verwendung von Futtermittelzusätzen und die Zucht von Hybriden die Wirtschaftlichkeit der Branche steigern konnte. Futtermittelzusätze spielten eine wichtige Rolle bei der Industrialisierung der Geflügelwirtschaft in der Schweiz, da sie notwendig waren, um die Produktivität und Gesundheit der Tiere unter den beengten Haltungsbedingungen zu erhalten. Die Futterzusätze ermöglichten eine effiziente Produktion von Eiern, die eine wesentliche Zutat in vielen Lebensmitteln in der der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden. Ziel dieser Form der Fütterung war eine möglichst vollständige und breite Ernährung der Hühner, die durch die neuen Haltungsbedingungen ohne Auslauf notwendig wurde. Zudem konzentrierte sich die Auswahl der in der Geflügelhaltung verwendeten Tiere auf die produktivsten Hühner.

FLOOR HAALBOOM (Rotterdam) widmete sich in ihrem Beitrag der Futtermittelindustrie in den Niederlanden als Schattenort der Tiernutzung und ihrer Rolle in der industriellen Viehzucht von den 1960er- bis in die 1980er-Jahre. Der Fokus lag auf der Entwicklung der Futtermittelindustrie, die es den Niederlanden ermöglichte, sich auf die Viehzucht zu spezialisieren. Weil es an agrarischen Nutzflächen in den Niederlanden mangelte, spielten importierte, billige Futtermittel aus industrieller Herstellung aus tropischen Gebieten eine entscheidende Rolle. Der Beitrag betonte, dass Futtermittel wie Maniok in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine große Bedeutung erlangten und dies erhebliche Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft in den Anbauregionen hatte. Entscheidend war dabei, dass die Verknüpfung von Viehwirtschaft und globalen Futtermittelmärkten maßgeblich zur Entstehung sozialer und ökologischer Ungleichheiten im In- und Ausland beigetragen hat. „Schattenorte“ sind diese Verhältnisse deshalb, weil sie den stärker beachteten konkreten Beziehungen zwischen Mensch und Tier vorausgehen, aber selbst selten sichtbar werden.

CHRISTIAN ZUMBRÄGEL (Berlin) beleuchtete in seinem Beitrag die Entwicklung der wissenschaftlichen Fischzucht und deren Auswirkungen auf Fütterungspraktiken in westdeutschen Fischzuchtanlagen zwischen 1900 und 1930. Er diskutierte, wie moderne Technologien den gesamten Lebenszyklus der Fische kontrollierten und die Produktion von Fischmaterial überlegen machten. Die "scientific aquaculture" unterschied sich von der traditionellen Teichwirtschaft durch technisch gesteuerte Reproduktion und Kontrolle des Entwicklungsprozesses vom Fischembryo bis zur Ernte. Ziel war die Produktion technisch kontrollierten Fischmaterials, das dem „natürlichen Rohstoff“ überlegen war. Die wissenschaftliche Aquakultur strebte daher eine Steigerung der Produktion von Fischmaterial durch Optimierung der Zucht- und Haltungsbedingungen an. Allerdings ist die züchterische und veterinärmedizinische Situation bei Fischen nicht so leicht kontrollierbar gewesen, wie bei domestizierten Säugetieren.

Die Tagung wurde durch einen Vortrag von JULIA ENXING (Dresden) und eine gemeinsam mit PHILIPP RÄUBIG (Dresden) vorgetragene Tagungsbeobachtung beschlossen. Beide waren mit ihrer fachfremden theologischen Perspektive als Gäste zur Tagung eingeladen worden, um die historische Perspektive durch eine Reflexion über die Grundlagen theologischen Arbeitens an Fragen der Mensch-Tier-Beziehungen in der Gegenwart zu ergänzen. Im Mittelpunkt stehen dabei Erfahrungen mit tierlichen Realitäten, die eine Sensibilität für „die Anderen“ eröffnen. Daraus erwächst die Motivation theologische Quellen der Minderachtung nicht-menschlicher Tiere zu kritisieren und nach neuen Ressourcen in der Theologie zu suchen, die ein besseres Zusammenleben fördern.

Die vorgestellten Projekte vertiefen das Verständnis dafür, wie die Prozesse der Landwirtschaft, der Weltwirtschaft und der Modernisierung im Allgemeinen miteinander vernetzt sind. Insgesamt war die Perspektive auf Tiere als historische Faktoren äußerst ertragreich. Tiere erscheinen in den Beiträgen häufig nicht nur als Betroffene, sondern als Akteure der Geschichte. Während der Tagung wurde unter vielem anderem die Frage diskutiert, ob ein Anschluss an die Human-Animal Studies für die Projekte gewinnbringend wäre. Meines Erachtens wäre eine Nähe zu diesem interdisziplinären Feld immer dann angebracht, wenn zu der beeindruckenden Nüchternheit und der Exaktheit im Beobachten ein Gespür für die normativen, gegenwartsbezogenen Implikationen kommt. So fiel mir als einem, den Human-Animal Studies zugeneigten, Theologen auf, dass sich trotz der Unterschiedlichkeit von Zeiträumen, Geographie, gesellschaftlichen Sektoren oder Tierarten ein stabiles Motiv von Profitabilität und Kontrolle im Mensch-Tier-Verhältnis zeigt, das sich bis in die Gegenwart verstetigt und auf das, scheinbar tierbezogene Ziele, wie beispielsweise Tiergesundheit, immer bezogen waren.

Konferenzübersicht:

Gisela Hürlimann (Dresden): Eröffnung

Sektion I – Arbeitende Tiere

Moderation: Ira Spieker (Dresden)

Hans-Ulrich Schiedt (Bern): Die Arbeit der Tiere – Reflexionen zur Begrifflichkeit um Arbeit und Nutzen

Juri Auderset (Bern): Bäuerliche Episteme der Tierarbeit. Überlegungen zu einer geteilten Geschichte mensch-tierlicher Arbeitsinteraktion

Ruža Fotiadis (Berlin): Auf Eselpfaden in die Moderne: Tragetiere und technischer Wandel in Südosteuropa

Sektion II – Koloniale Rinderzucht

Moderation: David Drengk (Dresden)

Samuël Coghe (Gent): (Post)Colonial Cattle Frontiers: Capitalism, Science and Empire in Southern and Central Africa, 1890s–1970s

Dennis Yazici (Kiel): «Hier herrscht das koloniale Rind». Transformationen der Nutztierzucht im kolonialen Namibia (1892–1914)

Abendvortrag – Audiovisuelle Quellen

Peter Moser (Bern) / Andreas Wigger (Bern): Nützliche Bild- und Filmquellen zu tierlicher Reproduktion, Gesundheit und Arbeit

Sektion III – Stoff(wechsel)geschichten

Moderation: Gisela Hürlimann (Dresden)

Chad Denton (Seoul): „Dem Tierarzt durch die Gesellschaft folgen“: Empirische Grundlagen einer Geschichte der Tierkörperverwertung

Gisela Hürlimann (Dresden) / Uwe Fraunholz (Dresden) / Maximilian Gasch (Dresden): Animalische Stoffflüsse. Überlegungen zur Technik- und Wirtschaftsgeschichte des nutztierlichen Verwertungskomplexes in der Hochmoderne

Beat Bächi (Zürich): Schweine: Eine Stoffwechselgeschichte des 20. Jahrhunderts

Sara Müller (Zürich): Wiederkäuer werden. Wachstum und Mangelkrankheit in der Schweizer Rindviehfütterung, ca. 1945–1980

Sektion IV – Tierische Ernährung

Moderation: Gisela Hürlimann (Dresden)

Henrik Jochum (Zürich): Mischen und Vereinheitlichen. Futtermittelzusätze und standardisierte Tiere in der schweizerischen Geflügelwirtschaft zwischen 1930 und 1962

Floor Haalboom (Rotterdam): Feeding Industrial Animals Global South Subsistence Crops in the Netherlands (1970s–1980s)

Christian Zumbrägel (Berlin): Wie die Aquakultur das Füttern lernte. Fischmehl, Konfiskate und Parasiten in westdeutschen Fischzuchtanstalten (ca. 1900–1930)

Kommentar und Schlussdiskussion

Julia Enxing (Dresden): Nutztiere, ihre Menschen und vice versa – eine theologische Perspektive

Julia Enxing (Dresden) / Philipp Räubig (Dresden): Tagungsbeobachtung

Redaktion
Veröffentlicht am